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2008.12 (22)

Kräftiges Rot über meinem geliebten Gelb

Die Entwicklung einer individuellen Bildsprache ist ein Prozess, dem sich jeder Künstler stellen muss. Ist sie einmal ausgeprägt und zum signifikanten Ausdruck für den Künstler geworden, gilt es diese Sprache zu pflegen und zu verfeinern, droht sie doch sonst allzu schnell zu verflachen. Manche Künstler entwickeln Strategien, um ihrer geschulten Bildsprache Hindernisse in den Weg zu stellen, um sich selbst herauszufordern und so zu spannungsreicheren Ergebnissen zu kommen. Francis Bacon beschreibt in seinen Gesprächen mit David Sylvester (1961-1986) sein Ringen um die Bildfindung, bei dem er immer wieder versuchte, etwas Neues, etwas Fremdes, etwas Überraschendes ins Bild zu bringen, um den Malprozess wieder in Gang zu bringen, wenn er zu stocken drohte. Er berichtet von dem Bedürfnis, einen anderen mit dieser Aufgabe zu betrauen und überlegt, wie er es anstellen könnte: am Ende spekulierte er sogar seine Putzfrau zu beauftragen, Farbe auf sein Bild zu kippen, kommt aber sehr schnell zu dem Schluss, dass diese Vorgehensweise nicht funktionieren kann, weil der Impuls zum Handeln ja nicht von der Putzfrau käme, sondern auch wieder von ihm initiiert wäre. So blieb Bacon - wie alle Künstler - allein mit seinem Ringen um das Bild.

Auf den Gedanken, einen anderen Künstler in sein Atelier einzuladen, ist Bacon wohl nicht gekommen. Kann eine Zusammenarbeit mit einem anderen Künstler überhaupt funktionieren? In der Kunst der Gegenwart gibt es eine Reihe von Künstlern, die zusammenarbeiten, am bekannsten sind wohl Gilbert & George oder Jeanne-Claude und Christo. Bei ihren Arbeiten verlaufen Planung, Konzeption und Realisierung von Projekten gemeinsam. Dies ist nicht zu vergleichen mit dem malerischen Prozess wie bei Andy Warhol und Jean-Michel Basquiat oder Robert Rauschenberg der in seinem Projekt „Rauschenberg Overseas Culure Interchange“ seit 1984 mit einer Reihe internationaler Künstler zusammenarbeitete. Hier sehen wir, wie in einem begrenzten Zeitraum zwei Individuen aufeinanderstoßen, die in ihrer Gegensätzlichkeit zu neuer Stärke reifen.

All dies war mir nicht bewusst, als ich 1998 Pete Clarke ansprach, ob er sich vorstellen könnte, mit mir zusammen zu arbeiten. Meine Idee war, dass nach dem großen Erfolg der "Eight Days A Week"– Projekte 1998 in Köln, der Austausch zwischen den Partnerstädten Liverpool und Köln weitergehen müsste und es stellte sich mir die Frage, wie man die Kooperation intensiver gestalten könne  als „nur“ durch gemeinsame Ausstellungen? Es war mein Wunsch, mit einem Künstler näher zusammen zu arbeiten, um ein wenig von seinem Ringen um die Kunst mitzubekommen und Erfahrungen teilen zu können. Dass ich dabei auf Pete Clarke stieß, lag daran, dass seine Arbeiten mich ungeheuer ansprachen und dass wir annähernd im gleichen Alter sind. Dass die mittlerweile mehr als siebenjährige Zusammenarbeit so intensiv werden würde, konnte ich damals noch nicht ahnen.

Als wir uns 1999 zum ersten Mal im Atelier von Pete in Liverpool trafen, um einige erste Versuche zu unternehmen, war unser Vorgehen noch sehr zögerlich, jeder musste den anderen erst einmal beobachten und abtasten, was man machen und wie weit man gehen kann. Dann -  einige Zeit später - in meinem Atelier in Köln lief alles schon entspannter, bis wir im September 2001 in den großzügigen Ateliers der Universität in Preston eine sehr intensive Arbeitsphase hatten. Die Vorgehensweise war immer gleich, jeder fing auf einer Leinwand an, begann mit einem bestimmten Thema, reichte die Leinwand dann nach einiger Zeit an den anderen weiter und bekam entsprechend dessen Entwurf, mit dem dann weitergearbeitet wurde. Während ich selber auf der einen Leinwand arbeite, beobachte ich natürlich, wie Pete gleichzeitig mit der anderen Arbeit weitermacht. Ich war entsetzt, dass er unvermittelt mit dem kräftigen Rot über mein geliebtes Gelb malt und Pete war bestimmt manches Mal geschockt, wenn ich die zarte Pinselzeichnung mit einem breiten Pinselstrich in den Hintergrund verbannte. Mit solchen Überraschungen wurde man oft konfrontiert, aber es wurde erst einmal hingenommen und nicht diskutiert, denn nach kurzer Zeit waren wir beide überrascht, wie doch das Rot sich spannungsreich in die Komposition einfügte, oder die Zeichnung sich auch aus der Ferne behauptete. So sammelten wir in den gemeinsamen meist einwöchigen Arbeitsprozessen intensive Erfahrungen, die später im eigenen Atelier verarbeitet werden mussten. Und dabei veränderte sich etwas in der eigenen Arbeit, sie wurde offener, freier und reicher. Mich erinnerte die Zusammenarbeit mit Pete Clarke an das intensive Studium an der Kunstakademie, an der ein anderer auf einem hohen Niveau Kritik übt, die sich intensiv mit der eigenen Arbeit beschäftigt. Eine kritische Sicht, die aus einem tiefen Verständnis für die Malerei herrührt und daher eindringlich wahrgenommen wird. Die gemeinsame Arbeit ist ein einzigartiger Lernprozess: denn wie kann ich mehr lernen, als im Austausch mit einem anderen Künstler, der auf gleichem Niveau arbeitet? Möglich war die Zusammenarbeit wohl nur, weil wir beide genügend malerische Erfahrung haben, sodass ein „zerstörender“ Pinselstrich nicht das Ende der Malerei bedeutet, sondern der Anfang für ein ganz neues Erlebnis sein kann. Eine weitere Voraussetzung für unsere Zusammenarbeit war, dass wir einen ähnlichen Arbeitsprozess entwickelt hatten, der auf dem Schichten von Farbflächen beruht, wobei der Möglichkeit des Zufälligen immer großzügig Raum gegeben wurde.

Die Zusammenarbeit setzt sich bis heute fort. In verschiedenen Ausstellungen haben wir gemeinsame Arbeiten gezeigt und die Arbeiten sind auf sehr positive Resonanz gestoßen. Im Weiteren entwickelten sich unterschiedliche Ausstellungsprojekte in Köln und Liverpool und darüber hinaus.

Dass ich mit einem Künstler aus Liverpool in den artistischen Dialog getreten bin, ist eher Zufall. Es war nicht die Herkunft entscheidend, sondern die Persönlichkeit des Anderen, das Maß an Geduld und Toleranz, das für eine Zusammenarbeit nötig
ist. Vielleicht ist es auch die Bescheidenheit, nicht immer das Eigene als alleinigen Maßstab zu nehmen. Die räumliche Distanz ist wahrscheinlich wichtig, damit die Zusammenarbeit immer auf einen bestimmten zeitlichen Rahmen begrenzt bleibt und nur in größeren zeitlichen Abständen stattfinden kann, so dass man sich zwischendurch wieder auf das Arbeiten im eigenen Atelier konzentrieren kann. Sprachbarrieren spielten bisweilen eine Rolle, denn meine nur befriedigenden Kenntnisse der englischen und Pete’s geringe Kenntnis der deutschen Sprache verhinderten manches Mal die tiefergehende Diskussion. Dann trat an die Stelle der verbalen Kommunikation die künstlerisch handelnde, - und diese war manches Mal sehr hilfreich: abwarten, schauen, entwickeln, entscheiden!

In Liverpool fühle ich mich inzwischen zuhause. Seit 1997 bin ich bestimmt zwanzig Mal dort gewesen, habe oft bei Pete Clarke und seiner Familie gewohnt, dort fühle ich mich wohl und diese Menschen sind für mich Liverpool. Eine Stadt mit einer bewegten Geschichte, vielen Rückschlägen, aber einer großen Stärke, die das Leben bejaht. Projekte wie "Eight Days A Week" , die auf eine Städtepartnerschaft aufbauen, sind notwendig, um einen Einstieg in diesen Austausch zu finden und bieten auch immer wieder einen Rahmen, diese Ideen zu verwirklichen.                                    
                                                                                                                                                                          Georg Gartz

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